Trudes Osterfest Fortsetzung
Die Tür war ins Schloss gefallen. Für einen winzig kleinen Moment war Trude geneigt den Schlüssel ins Schloss zu stecken und wieder hinein zu gehen, hätte sie nicht das inzwischen so vertraute „Heinzz“ mit dem betonten „z“ gehört mit dem folgenden „das ist ja richtig unverschämt. Steht einfach auf und geht, während ich mit ihr rede.“
„Sollen sie einfach mal sehen wie sie klar kommen.“ dachte Trude sich selbst Mut machend. „Heinzz“ ironisch klang der Name mit dem von ihr übermäßig betonten „z“. „Jetzt fange ich auch schon mit diesem doofen „z“ an, Heinz kann ja kochen und Schwiegermutter den Abwasch und die Wäsche machen, ganz wie früher, als er noch zu Hause war. Und was mache ich jetzt?“ fragte sie sich verunsichert. Sie nahm ihre Tasche auf, holte den Aufzug und verließ kurze Zeit später in Richtung Hauptverkehrsstraße das Haus. Sie winkte nach dem einzigen Taxi, das gerade an ihr vorbei wollte.
„Wo wollen’se denn hin junge Frau?“ fragte sie der Taxifahrer, nachdem sie im verschlissenen Polster der Rückbank versunken war. Sie konnte nur noch den Himmel sehen.
Trude stockte der Atem, ja wo wollte sie denn hin? Zu ihrer Freundin? Keine gute Idee, die hatte ihre eigenen Probleme. Zur anderen Freundin? Auch nicht besser. Zu ihrer Tochter! Sie gab dem Fahrer die Adresse ihrer Tochter an und der Wagen setzte sich in Bewegung. Leise spielte das Radio, die Musik schien ihr vertraut, obwohl sie Mühe hatte etwas zu verstehen und wie Menschen das tun, die etwas schlechter hören, schob sie ein Ohr nach vorne. Erst als der Fahrer das Radio etwas lauter stellte, erkannte sie, dass Udo Jürgens aus dem Radio trällerte: „Ich war noch niemals in New York, war noch niemals in Hawaii, in….“. Trude überlegte einen Moment, schaute in ihre Brieftasche, vergewisserte sich, ob sie ihren Pass wirklich eingesteckt hatte und vor allem, ob dieser noch Gültigkeit hatte. Hatte er. Heinz‘ seiner war lange schon abgelaufen und er sagte immer, dass er ihn verlängern lassen wollte, dann wenn sie…
„Fahren Sie bitte zum Flughafen.“
„Ick fahr’se och nach Buxtehude, wenn se dat wollen.“ grinste der Mann.
Trude lehnte sich zurück, schloss ihre Augen und prompt schoben sich Heinz und seine Mutter in das Bild, das sie sah. „Weg da!“zischte sie leise und schaute aus dem Auto hinaus in den Himmel. Immerhin konnte sie erkennen, dass sie gerade den Flughafen erreicht hatten. Sie bezahlte und stieg aus, der Fahrer holte ihre Tasche aus dem Auto. Da stand sie nun. Was nun?
„Blöde Kuh! Was wohl, mach schon, geh rein und buch‘ den verdammten Flug!“
Zögernd betrat sie den Flughafen. Sie liebte es hier zu sein. Ankommende und abfliegende Menschen, Urlaubs- und Businessflüge, Wochenendtouren, mit und ohne Kinder. Freudentränen in der Ankunftshalle, Abschiedstränen beim Abflug. Sie würde keine Träne weinen, nicht heute. Während sie zielstrebig auf den Schalter einer Fluglinie zuging, fiel ihr Blick auf ihr Äußeres, das durch eine der Schaufensterscheiben widergespiegelt wurde.
„Oh je! Wie siehst du denn aus? Nicht weit entfernt von ausgemustertem Dirndl, was?“ sprach sie ein wenig zu laut mit sich.
„Was man aber sicher ändern kann!“ warf ihr mit einem breiten Grinsen im Gesicht ein vorbeieilender Mann zu.
Noch ehe Trude etwas erwidern konnte war er aus ihrem Blickfeld verschwunden. Etwas verunsichert trat sie an den Schalter heran, hinter dem heraus eine perfekt gestylte Mitarbeiterin sie unverhohlen musterte. Ihr Blick sprach Bände, drückte aus, was sie dachte und Trude wurde sich einmal mehr bewusst wie sehr sie sich Heinz‘ plötzlich beginnender Aversion gegen Make up untergeordnet hat, unbewusst. Sie hatte nichts dabei womit sie sich schminken könnte. Sie hatte überhaupt nichts Nützliches in ihre Tasche gepackt.
„Was kann ich für Sie tun?“ fragte diese etwas genervt. Trude etwas sensibel geworden, bellte sofort zurück:
„Einen Flug buchen natürlich.“ Und etwas versöhnlicher fügte sie hinzu „Für heute noch.“
Überrascht wurde sie nun genauer von ihrem Gegenüber inspiziert.
„Und wohin möchten Sie fliegen?“
„New York“
„New York?“ Ihre Stimme abfällig, fehlte nur noch, dass sie Trude gleich noch fragen wollte: „So wie Sie aussehen?“
„Ja, jetzt und so wie ich bin.“ rutschte es Trude raus, aber es saß. Ihr Gegenüber wurde über und über rot, als habe man sie beim nächtlichen Besuch des Kühlschranks ertappt.
„Äh, äh…“ begann sie stotternd, eifrig die Tastatur malträtierend. Nach drei tiefen Atemzügen hatte sie sich wieder in der Gewalt. „In zwei Stunden startet eine Maschine über London nach New York.“
„Gut, den Flug nehme ich.“ erwiderte Trude gelassen.
„Ich schaue mal nach, ob ich Ihnen noch einen günstigen Tarif anbieten kann. Oh, ich sehe gerade alle günstigen Tarife sind bereits ausgebucht.“ damit schaute sie Trude fragend an als warte sie darauf, dass Trude es sich noch einmal überlegen würde.
„Was bedeutet?“ sie klang gereizt, während ihr Blick auf eine Werbung der Fluglinie fiel: Buchen sie Business Class, fliegen Sie First Class.
„Das bedeutet, dass ich Ihnen für die Ecomony nur noch einen Normaltarif von…“
„Wie sieht es in der Business Class aus?“
Die Angestellte riss die Augen auf. Wieder erschlug sie die Tastatur fast mit ihren Fingern.
„Ja, hier ist eine Buchung noch möglich.“
„Und das Angebot da?“
„Äh, ja das wäre möglich.“
„Kann ich die First Class auch auf dem Rückweg fliegen?“
„Ja, auch das wäre möglich.“
„Na dann buchen Sie das doch.“
Nachdem dies dann endlich geklärt war, verließ sie mit ihrem Ticket in der Hand und der Hotelreservierung in der Tasche den Schalter. Sie hatte noch etwas Zeit bevor sie einchecken musste. Sie klopfte sich innerlich auf die Schulter, dass sie ihr eigenes Konto hatte auf das ihr bescheidenes Gehalt überwiesen wurde, aber auch die Gewinne aus ihren heimlichen Lottospielen. Der Kontostand konnte sich inzwischen sehen lassen und würde für einige solcher Flüge incl. Unterkünfte reichen. Trude liebte es zu fliegen, aber seit Heinz in die Berge wollte schien es ihr als läge ihr letzter Flug mindestens 100 Jahre zurück. Sie hätte von ihrem Geld gerne die Flüge bezahlt, aber nicht für den Urlaub dort, wo sie schon Urkunden dafür bekommen haben, dass sie das zehnte Mal gekommen waren. Ihre Urkunde hatte sie zerrissen noch bevor Heinz sie in einem Rahmen an die Wand hängen konnte. Sauer war er als er die Schnipsel gesehen hatte, aber er verzichtete darauf seine alleine aufzuhängen, zähneknirschend.
Sie schaute an sich herunter, sah ihre Hose, den hässlichen grünen Pulli, das dunkelgrün karierte Jackett. Ihr Gesicht war ungeschminkt, mein Gott Trude, wieso siehst du aus wie du aussiehst? Grün überhaupt nicht die Farbe für ihre blauen Augen. Schämst du dich nicht? So rumzulaufen! Nach einer halben Stunde betrat eine sportlich gekleidete Frau in mittlerem Alter die Lounge und erst beim zweiten Blick sah man, dass es sich dabei um Trude handelte.
Ihr Handy vibrierte, eine SMS von ihrer Tochter:
„Geht es dir gut? Papa hat angerufen und gefragt wo du bist.“
Trude mochte es nicht sehr SMS zu tippen, aber sie antwortete ihrer Tochter:
„Ja, es geht mir gut, bin einfach mal ein paar Tage weg.“
Die Antwort kam prompt:
„Hättest du schon längst tun sollen. Aber du kommst wieder, oder? Sagst du mir wohin?“
„Nein, sage ich nicht, aber denke du kommst alleine drauf. Ich melde mich, wenn ich angekommen bin.“
„Ah, ich glaube ich weiß. Viel Spaß, grüße den Big Apple von mir, komme gesund wieder.“ Es kam noch eine weitere SMS „Ich werde dich nicht verraten.“
Gerade vor ein par Tagen hatte sie mit der Großen darüber gesprochen, dass sie so gerne mal wieder richtig verreisen würde, nach Amerika, da war sie so gerne. Sie würde auch gerne mal nach Japan fliegen und afrikanische Länder besuchen, aber vor allem würde sie sich so gerne New York anschauen. Aber immer wenn sie zu Heinz sagte, lass uns mal nach New York fliegen und von da aus durch Amerika fahren, sagte er: „Ja, Schnullebärchen machen wir, aber nicht dieses Jahr, Du weißt doch Mutter ….“ Sie mochte ihre Schwiegermutter, sie hatten sich immer gut verstanden, auf Distanz. Seit diese aber bei ihnen lebte übernahm diese mehr und mehr das Regiment und bestimmte wo es lang ging, auch kaufte sie permanent diese grünen Dinge, die sie dann auch noch an Trude sehen wollte. Als sie ihrer Schwiegermutter beibringen wollten, dass sie in Urlaub fliegen wollten – ohne sie – da bekam diese einen Herzanfall. Seither haben sie es gelassen und fuhren in die Berge. Gut sie konnte mit Ruhe arbeiten gehen, es war meist gekocht, die Wäsche zusammen gelegt, abgestaubt und einiges mehr.
Inzwischen war sie in der Lounge angekommen, hatte sich einen Kaffee genommen und wartete, dass ihr Flug aufgerufen wurde. Sie fühlte sich zu Hause überflüssig, das war es. Egal wann immer sie eine Idee hatte, wurde sie überstimmt. Wenn sie Rotkohl wollte, gab es Weißkohl, wenn sie Wurst wollte, gab es Käse, wenn sie Nudeln essen wollte, gab es Kartoffeln. Natürlich hatte sie das mit der Zeit bemerkt und Weißkohl zum Essen vorgeschlagen, wenn sie Rotkohl wollte, Käse, wenn es Wurst sein sollte. Das klappte immer, aber das war nicht Trude, nicht die, die sie eigentlich war. Irgendwann hatte sie nur noch grüne Pullover im Schrank und nur noch schwarze, braune und grüne Hosen, obwohl sie diese hasste. Ihre Jeans, die sie so sehr liebte waren verschwunden, kamen aus der Wäsche ebenso nicht mehr zurück, wie ihre rosafarbenen Blusen und Pullover. Sie vernachlässigte ihr Make up, weil Heinz plötzlich der Meinung war, dass ihr Natürlichkeit in ihrem Alter besser stünde. Sie wusste wo sein Sinneswandel herkam, aber wehrte sich nicht dagegen. Nur eines ließ sie sich nicht nehmen: das Haare färben. Immer wenn sie einen Friseurtermin hatte wurde ihre Schwiegermutter krank, fühlte sich unwohl, wollte nicht alleine bleiben. Also ließ sie sich ihre Haare wachsen, trug sie zu einem Zopf und färbte sie. Nein, nein, das würde sich ändern, gleich nachdem sie zurück war. Sie würde dieses Spiel nicht mehr mitspielen wollen. Das war nicht ihr Spiel, nicht das, das Heinz und sie gemeinsam entwickelt hatten bevor…
Mitten in diese Gedanken hinein wurde der Flug nach New York aufgerufen. Trude blieb sitzen. Der Flug wurde ein weiteres Mal aufgerufen