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Trudes Osterfest
Vier freie Tage lagen vor ihr und ihrer Familie. Der Karfreitag war eher ruhig geplant, am Samstagabend wollte man mit den Kindern zusammen essen, am Sonntag mit Freunden und Familie brunchen und am Montag das Osterfest faul ausklingen lassen.
Trude freute sich darauf, das würde schön werden. Die Einkäufe waren Donnerstag erledigt worden und das wenige, das am Samstag noch gekauft werden musste, das war kein großer Aufwand. Trude würde am Samstagmorgen ihre Mutter holen und dann langsam gemeinsam mit ihrem Mann Heinz den Abend vorbereiten.
Trude, etwas drall ist sie geworden. Ihre langen Haare, trug sie meist zu einem Zopf gebunden oder hochgesteckt, schnitt und färbte sie sich selbst. Vor Ostern wollte sie sich noch schnell eine schicke Hose kaufen, musste aber feststellen, dass in ihrer Größe keine dabei war, die ihr gepasst hätte. Keine der Hosen, die ihre gefallen hätte, ließ sich ohne Gewalt anziehen, daran den Knopf zu schließen war dabei gar nicht zu denken. Bei der einzigen Hose, bei der dies dann mit Bauch einziehen und Luft anhalten, gelungen war, sprang, als sie nur ein klein wenig atmete, der Knopf ab, rollte unter der Kabinentür durch, an der Verkäuferin vorbei und blieb neben dieser liegen. Glücklicherweise hatte sie noch einen Pullover mit in die Kabine genommen, wickelte diesen um die lädierte Hose, peinlich war ihr das schon, und ging an der Verkäuferin vorbei, die sie sodann ansprach.
„Darf es der Pullover sein?“
Trude, inzwischen puterrot, schaute die Verkäuferin an als würde sie diese nicht verstehen, schaute dann auf den Pullover und schüttelte den Kopf.
„Sie können mir den Pulli ruhig geben, ich bringe ihn zurück.“ haftete die Verkäuferin an den Fersen Trudes.
„Ich überlege noch“, antwortete Trude, den grün-karierten Pullover fest an sich pressend.
Der Hose und des Pullovers entledigte sie sich ordnungsgemäß und trat den Heimweg an – ohne Hose versteht sich. Zu Hause, überlegte sie für einen Moment, ob sie die Waage quälen sollte, ließ das aber sein. Sie hatte Mitleid mit ihr, wollte ihr das nicht antun. Der Blick in den Spiegel sprach Bände, sie sah, dass das Hüftgold dort angekommen war, wo sie es nicht haben wollte und nur schwer wieder loswerden würde. Sie beschloss das eine oder andere Kilogramm abnehmen zu wollen, aber erst nach Ostern und heimlich. Das muss ja niemand mitbekommen und außerdem merkt ja sowie so niemand ob sie nun 5 kg mehr oder weniger wiegen würde. Überhaupt würde irgendwer bemerken, wenn sie sich die Haare grün färben würde, oder sie sich eine schicke Kurzhaarfrisur machen ließ. Würde irgendwer merken, wenn sie mal anstatt der ewigen gründen und grauen Pullover mal einen knallroten Pullover tragen würde? Würde irgendwer merken, wenn sie einfach mal weg war? Sicher genauso wenig wie sie den Unterschied zwischen 20ml oder 200ml Sahne in der Soße bemerken würden.
„Nun gut“ seufzte Trude, dann werde ich am Sonntag eben einen Rock anziehen. Es soll ja warm werden.“
Der Karfreitag verging geradezu verdächtig harmonisch, sogar ihr Heinz war ihr gegenüber aufmerksam. Trude bekam fast ein schlechtes Gewissen über ihre Gedanken niemand würde sie bemerken oder gar vermissen.
Aber es konnte ja nicht immer Freitag bleiben und der Samstag kam. Heinz blätterte in einem Prospekt und zeigte auf gelborange Vorhänge für den Wintergarten.
„Hier, schau, gelborange Vorhänge, so stelle ich mir das vor.“ sagte er begeistert zu Trude.
„Ich nicht, ich habe schon x-Mal gesagt, dass ich keine Vorhänge möchte, weder Vorhänge und schon gar nicht gelborange. Ich will billige Stoffbahnen, die ich, wenn sie schmutzig sind, abnehmen und wegwerfen kann. Dann kommen neue hin.“
„Nein, Trude, ich stelle mir das so vor, in gelborange und Vorhänge.“
„Ich nicht.“ Trudes Antwort wirkte nun genervt, sie sah sich schon: Vorhänge abnehmen, waschen, bügeln wieder aufhängen. Nein, das wollte sie nicht.
Das alles ging dann noch ein wenig hin und her, bis es Trude zu viel wurde und sie ihrem Heinz mit einem kernigen und völlig ungewohnten „LMA“ klar gemacht hat, dass dieses Thema für sie beendet war. Etwas erschrocken über sich selbst war Trude schon, das war nicht ihre Sprache. Damit war aber die Sache für sie erledigt. Sie hakte diesen kleinen Disput als unwichtig ab und vergaß ihn. Nicht so Heinz. Er beschloss nun zu schmollen und legte sogleich ein Schweigegelübde ab. Er redete nur noch in zischenden Sätzen mit ihr und nachdem die Kinder weg waren gar nicht mehr. Trude bemerkte das zuerst nicht, erst am Abend dann, als Heinz vollkommen verstummt war, keimte in ihr der Verdacht auf, dass irgendwas schief gelaufen sein musste. Auf die gelborangen Vorhänge kam sie dabei nicht. Natürlich ging das am nächsten Morgen so weiter und Trude, sich immer noch keiner Schuld bewusst, fragte Heinz was sie denn getan habe. In seiner unnachahmlichen Art, die Trude an Heinz‘ Vater erinnerte und die sie so hasste, zweifelte er an ihrem Verstand, weil sie nicht mehr erinnern konnte, sich des Vergehens schuldig gemacht zu haben, den Vorschlag der gelborangen Vorhänge mit einem LMA bewertet zu haben. Sie brach daraufhin in schallendes Gelächter aus und meinte nur, wenn Heinz sonst keine Sorgen hätte, dann wäre ja alles in bester Ordnung. Komischerweise lachte er nicht mit und schien noch mehr verstimmt.
Aber nicht nur Heinz begann zu kriegen mit Trude. Noch bevor sie den Grund von Heinz Verstimmung erfuhr, fragte fragte ihre Schwiegermutter, die bei ihnen lebte, sie beim sonntäglichen Frühstück aus heiterem Himmel, was denn ihr Sohn Heinzzz, sie betonte das „z“ immer, wenn sie von ihm sprach, hätte. Sie begann so:
„Ich hätte eine Bitte.“
„Ja immer raus damit.“ antwortete Trude arglos.
„Hat mein Sohn“ die Betonung lag nun auf dem Wort „Sohn“, „Liebeskummer? Er ist so still.“
„Sagen wir es so, wir haben gerade wohl Krieg und du hältst dich da am besten raus. Das ist einfach sicherer, sonst wirst du zwischen die Fronten geraten und dann wird es stürmisch für dich.“
Das kaufte der Schwiegermutter den Schneid ab, ihre Bitte überhaupt zu äußern und dieser Fall war damit auch erledigt. Ihre Schwiegermutter war und das fiel Trude gerade in letzter Zeit auf, immer sehr darauf bedacht, ihrem Sohn förmlich die Hausschuhe nachzutragen, wenn er nach Hause kam, ihm alles aus dem Weg zu räumen, nachzuräumen, ihn als uneingeschränkten Patriarchen der Familie anzuerkennen. Das hatte Trude gerade noch gefehlt. Wenn er sich hinsetzen wollte und da halt mal eine Tasche auf dem Stuhl stand, dann soll er sie gefälligst selbst runternehmen. Er ist groß und alt genug das zu tun. So war das nun also, wenn ihr Heinzzz, mit dem betonten „z“ kam, sollte immer alles bereit sein. Trude dachte nur oho und unterband dieses Bemühen. Sie sah es ihrer Schwiegermutter nach, die im Moment ein wenig Probleme mit der Zeit hatte. Sie glaubte ihre mütterlichen Pflichten wieder übernehmen und ihren Sohn früh um 6 Uhr wecken zu müssen, vertat sich aber ein wenig in der Zeit und stand um 4:15 morgens unten an der Treppe und rief „Heeeiiiinnnnzzzz“, natürlich mit einem betonten „z“, „es ist 6 Uhr, du musst aufstehen.“
Heinz quittierte das, begleitet mit einem lauten Schrei, mit einem elastischen Sprung aus dem Bett. Trude, die tief und fest schlief, hatte gar nix mitbekommen, sah nur noch die Landung ihres Heinz auf seinen Füßen. Das gedehnte „Heeiiiinnzzzzzzzz du musst aufstehen!“ hörte sie erst durch den Schrei von Heinz selbst.
„Hörst du?“ fragte er seine Frau aufgebracht. „Hörst du, Mutter steht da unten und will mich wecken.“
Trude noch vollkommen verschlafen antwortete „Nein, ich höre nix, aber ich sehe Licht und werde mal runter gehen.“ Trude ging also, erklärte ihrer Schwiegermutter sie habe sich in der Zeit geirrt, brachte sie wieder in ihr Bett und ging selbst wieder schlafen.
Trotzdem war der Samstagabend nett. Es hätte noch schöner sein können, hätte Heinz nicht am Morgen sein Schweigegelübde abgelegt, das in dem Moment wieder einsetzte, als die Kinder nach dem Essen gegangen waren. „Na gut“, dachte Trude „wer nicht will, der hat gehabt.“ und ging schlafen.
Der Sonntag war schön, Trude hatte endlich den Grund des Schweigens von Heinz erfahren, wusste nun, dass sich seine Mutter sich Gedanken um seinen Liebeskummer machte und fühlte dass dicke Luft herrschte. Unbestimmt lag irgendetwas in der Luft. Was es war konnte sie nicht sagen. Trudes Mutter, auch eine ganz eigene Schöpfung, saß, nein thronte, immer an einem Kopfende des Tisches, übersah so das ganze Geschehen und bedauerte stets, dass sie ja nicht helfen könne, weil schon genug Leute in der Küche herumwuseln würden. Sie war wie Trudes Schwiegermutter auch, irgendwie immer dabei. Seit die Kinder groß waren und ihre eigenen Wege gingen, haben sich die beiden alten Frauen eingeschlichen, geradezu in Trudes und Heinz‘ Alltag festgesetzt. Für Trude und Heinz war das nicht weiter schlimm, sie waren es inzwischen gewohnt, dachten meistens nicht mehr darüber nach. Wenn die beiden Mütter gelegentlich auch mal Differenzen hatten, so verstanden sie sich darin wortlos, ihre Kinder an der kurzen Leine laufen zu lassen. So kam es, dass Trudes Mutter, nachdem die Gäste zum Brunch eingetroffen waren, die Regie als Gastgeberin übernehmen wollte.
„Trude, Trude“ hörte diese ihre Mutter sagen. „Gisela hat noch keinen Platz.“
Trude überhörte das einfach, fühlte aber wie leichter Ärger in ihr hochkroch. Das hatte ihr gerade noch gefehlt, nach Heinz Schweigegelübde, Schwiegermutters Sorge um den Liebeskummer ihres Heinzz mit dem betonten „z“, kam nun noch dazu, dass ihre eigene Mutter ihre Gastgeberrolle übernehmen wollte. Na toll, das hat Trude gerade noch gefehlt. Es brodelte heftig in Trude. Gisela wusste übrigens schon längst wo ihr Platz war. Nach der ersten Runde des Brunchs, stellte Trude für Gisela einen Aschenbecher hin. Ihre Mutter sah den Aschenbecher nicht, wohl aber, dass Gisela ihre Zigaretten aus der Tasche geholt hat.
„Trude, Trude, da fehlt noch ein Aschenbecher.“
„Da steht schon ein Aschenbecher.“ giftete Trude und kochte innerlich noch mehr.
Trotz allem, irgendwie war auch dieser Ostersonntag ein schöner Tag. Heinz ergab sich immer noch dem Schweigegelübde, obwohl er merkte, dass er von Trude nicht ernst genommen wurde, die Schwiegermutter, mit der sie sich eigentlich immer gut verstanden hatte, brütete immer noch über den Liebeskummer ihres Heinz, mit dem betonten „z“, nach und ihre Mutter wollte so gerne Gastgeberin sein. Alles in allem war der Tag also ein voller Erfolg für Trude. So wie sie sich aber fühlte, musste sich ein Vulkan kurz vor seinem Ausbruch fühlen. Es brodelte in ihr.
Es kam der Montag, der Ostermontag. Wie immer bereitete Trude das Frühstück, holte frische Brötchen, ihr Heinz schlief wie immer an freien Tagen noch. Trude frühstückte schweigsam, ungewohnt schweigsam, was ihre Schwiegermutter persönlich nahm. In dieses Schweigen hinein platzte ihre Schwiegermutter:
„Eins will ich dir sagen.“
Trudes Sensoren begannen ganz langsam hochzufahren, bis sie zur vollen Spannung kamen. Der Ton in der Stimmer der Schwiegermutter, brachte ihren Blutdruck schlagartig auf 380. Sie horchte auf, hörte auf zu kauen.
„Du musst freundlicher zu mir sein.“
Trude zog die Augenbrauen über den aufgerissenen Augen hoch, während ihre Schwiegermutter unbeirrt ihr Füllhorn an Ärger über ihr ausschüttete.
„Da liegt was in der Luft. Ich weiß ja nicht was ich dir gemacht habe. Aber du musst freundlicher zu mir sein.“
Der Vulkan brach aus. Das war zu viel. Waren die denn alle verrückt? Trude ließ das angebissene Brötchen fallen, legte ihre Serviette auf den Tisch und stand auf. Schweigend ging sie nach oben, holte eine kleine Reisetasche vom Schrank, packte das Nötigste ein, Heinz schlief, das „z“ leise schnarchend, weiter. Sie ging hinunter, prüfte ihre Brieftasche auf ihre Kreditkarten, holte ihren Pass aus dem Sekretär, packte ihr Handy nebst Ladegerät in ihre Handtasche, füllte ihren Kaffee in einen Thermosbecher um. Sie nahm ihren Schlüssel, ihre Jacke und wandte sich dem Ausgang zu. Ihre Schwiegermutter stand schon im Flur vor der Tür und rief:
„Wo willst du hin? Heeiinnzzzz! Heeiiiinnnnzzzz! Wo will Trude hin?“ Ihre Zunge bekam beim „z“ fast einen Krampf und wollte nicht mehr aufhören zu zischen.
Trude schwieg. Ihre Schwiegermutter, fast einen Kopf kleiner, baute sich vor ihr auf. Sie pumpte als wolle sie an Größe wachsen.
„Wo willst du hin? Heeeiiinnzzzzzzz!“, das „z“ wurde übermächtig und schien nicht enden zu wollen.
Trude, schob sie einfach beiseite, sagte nichts, öffnete die Tür und ging hinaus. Als sie diese hinter sich zuzog, sah sie Heinz mit dem betonten „z“, noch vollkommen verschlafen, hinter seiner Mutter stehen.