Noch ein Jahr ohne Andreas
Es gibt viele Tage in unserem Leben, die sich unauslöschlich eingeprägt haben. Das fängt mit Prüfungstagen an, geht über Hochzeitstage, die eigenen Geburtstage und die der Kinder und endet unausweichlich mit den Todestagen. Letztere mögen wir nicht, irgendwie können wir sie nicht feiern, wo doch so manches Leid für die Sternenkinder ein Ende gefunden hat. Es gibt aber auch, diese anderen Tage, die man nicht leben möchte, Streit, Trennungen, wenn Menschen dorthin gehen, wo wir uns alle eines Tages wieder sehen werden. Meist wissen wir, auch Jahre später noch jedes Detail mehr oder weniger gut. Manchmal kann oder will nicht erzählen, was an diesem Tag passiert ist, dann wieder geht das ohne Probleme, aber eins ist uns alles gemein: Wir wissen genau wo wir waren, was wir getan haben.
Ich habe über Andreas geschrieben, sein Leben beschrieben, mein Leben mit ihm beschrieben. Ihr kennt „Gänseblümchen“, das muss ich gar nicht erst erwähnen. Es war mein eigener, ausgesprochener Wunsch über sein Leben zu schreiben, seine witzige Art, sein Lachen, seine Streiche und nicht über diesen Tag, der nicht zu seinem Leben gehörte, sondern ihn mir genommen hat. Andreas war an einem Dravet Syndrom erkrankt, an dessen Folgen er gestorben ist, irgendwie mussten wir damit rechnen, dass es passieren würde, aber glaubt mir, es ist deswegen nicht weniger hart. Ich bin irgendwie immer noch mit dem Dravet verbunden, eine Krankheit, die uncool ist und nicht im Fokus der Öffentlichkeit steht. Schwere epileptische Anfälle sind uncool und nicht witzig, die Eltern der Kinder können nicht darüber lachen, wenn das wieder zuschlägt, wenn wieder mal alles anders läuft. Du kannst nicht sagen, wirf deinem Kind ein paar Pillen ein und dann ist alles gut, mitnichten klappt das und ein Medikament, das am Anfang toll wirkt, wirkt oftmals irgendwann einfach nicht mehr und die Suche nach guter medikamentöser Einstellung geht von vorne los. Für die Kinder ist das ihr Leben, nur selten können sie sagen, dass sie das Scheiße finden, aber die Eltern leiden, Ehen und Familien stehen unter einem enormem Druck, sind unglaublicher Belastung ausgesetzt. So war das bei uns auch, immer ein Auf und ein Ab, niemals ein Geradeaus. Im Moment gibt es viele Dravet-Kinder, die zu Sternenkindern werden und das tut weh, das schmerzt auch alle, die in irgendeiner Form zu dieser großen Familie gehören.
Eigentlich wollte ich den Tag beschreiben an dem es geschehen ist, an dem wir gerufen wurden, der NA bei der REA war als wir eintrafen und ich ihn gebeten habe nach über 40 Minuten alle Maßnahmen einzustellen. Das war ich Andreas schuldig, es war meine Aufgabe darüber zu wachen, dass die Qualität seines Lebens so hoch wie nur möglich war, auch wenn ich ihn dafür irgendwann gehen lassen muss. Es sprach sich herum wie ein Lauffeuer auch bei den ehemaligen Betreuern, die Andreas hatte und eine davon rief mich zwei Tage später an, kondolierte und meinte, dass ich tatsächlich auch das leben würde, was ich immer gesagt habe: Lebensqualität ist das höchste, das wir unseren Kindern geben können. Das gilt für Dravet-Kinder, wie für ihre Geschwisterkinder, wie für alle anderen Kinder auch. Es mag eine Glaubensfrage, oder eine Frage der Einstellung sein, ich für mich glaube, dass er zu einer Zeit gegangen ist da er am Beginn größeren Leids gestanden hatte. Es war gut so wie es war, auch wenn wir zurück geblieben sind und unsere Aufgabe es ist zu leben, weiter unseren Weg zu gehen, egal wie schwer er ohne unseren Sohn und Bruder ist.
Der Schmerz wird mit der Zeit besser und ist manchmal kaum zu spüren, die Trauer aber, die bleibt immer, hat sich wie ein Bodyguard an unsere Fersen geheftet ohne uns davor bewahren zu können, dass der Schmerz immer mal wieder kommt, mal mehr oder weniger heftig. Das ist so und es ist sinnlos sich dagegen wehren zu wollen, ich glaube die Kunst ist damit leben zu lernen und wie bei jeder Kunst, gelingt das nicht immer, jeder Künstler verwirft manchmal seine Manuskripte, seine Skulpturen, seine begonnen Bilder. So ist das hier auch, manchmal gelingt es, manchmal eben nicht.
Am 28. sind es neun Jahre, neun Jahre ohne ihn, neun Jahre in denen kein Tag vergangen ist an dem ich nicht an Andreas gedacht habe, neun Jahre in denen kein Tag vergangen ist, an dem wir ihn nicht vermisst haben. Neun Jahre. In diesen neun Jahren habe ich die „Dravets“ gefunden, oder sie mich, ich weiß es nicht mehr und ich werde irgendwie immer bleiben und immer wieder daran erinnern, dass das Dravet Syndrom eine grausame Krankheit ist, die alles von den Kindern und ihren Familien abfordert, alles und dass noch sehr viel geforscht werden muss, um genau die Medikamente zu finden, die nötig sind wenigstens die epileptischen Anfälle beherrschen zu können. Ich werde jede Gelegenheit nutzen darauf aufmerksam zu machen, zu teilen, wenn geteilt werden muss und ich möchte, auch wenn nicht gerade Weihnachtszeit ist, um eine Spende für genau diesen Verein bitten, gerade weil dieser so unwirkliche Tag an dem Andreas einfach gegangen ist, ohne uns zu fragen, ob wir das wollen, ob wir schon dafür bereit sind ohne ihn weiter zu gehen, bevor steht. Diese gespendeten Gelder helfen dem Verein, den Kindern, den Eltern und es kommt dort an, wo es wirklich gebraucht wird. Hier der Link zu dem Verein, ist nicht ansteckend mal hinzuklicken und eine kleine Spende da zu lassen: http://www.dravet.de/index.php/Dravet-Syndrom.html, das garantiere ich.
Ich werde den Montag still und leise verbringen, in Ruhe und mit viel Erinnerung an Andreas.
Liebe Gitta,
9 Jahre schon unglaublich!! Ich habe beim Lesen immer wieder genickt und geweint, uns ging es ja ähnlich mit Mario, auch wir haben entschieden, entscheiden müssen, wie es weitergeht, damals vor fast 8 Jahren. Und auch wir haben entschieden, im Sinne von Mario, weil auch er keine Lebensqualität mehr gehabt hätte.Ich kann es immer noch nicht glauben, wieviel Zeit vergangen ist, wie unendlich schmerzhaft und mühsam der Weg war und manchmal immer noch ist.
Und auch wir leben jeden Tag mit der Trauer um ihn, wie auch ihr mit der Trauer um Eueren Andreas. Immer in Gedanken bei ihnen. Wir haben gelernt, damit umzugehen, und gelernt, unseren ganz eigenen Weg zu gehen, jeder für sich und miteinander. unserer jüngerer Sohn hat auch wieder seinen Weg eingeschlagen, den er immer gehen wollte, ist Koch geworden, was er immer werden wollte, mit vielen Umwegen. Heute ist er ein fröhlicher junger Mann, der genau weiss, was er will. Und er hat eine ganz tolle Frau an seiner Seite. Und darauf bin ich unendlich stolz.
Wir werden usere Söhne Mario und Andreas immer vermissen, immer in unseren Herzen tragen und immer dankbar sein, dass sie bei uns sein durften.
Ich bin heute in Gedanken bei Dir
Alles Liebe
Ria mitundohne Mario