Deutschland – Türkei oder doch Türkei – Deutschland?
Ich nehme es vorweg: es war für mich, die das noch nie zuvor erlebt hat, unglaublich, einfach toll!
Die Stadt hat den ganzen Tag über geknistert in Erwartung auf den Abend. Das Spiel war überall Tagesgespräch, auch in meiner Bäckerei. Für den Bäcker, der am Morgen noch nicht wusste, dass er am Abend mit seiner Frau ins Stadion gehen würde, war das im Gespräch mit seinen Kunden sicher nicht anders. Wir haben uns übrigens, da wir auch in unterschiedlichen Blöcken saßen, unter den rund 74.000 Zuschauern irgendwie nicht ausmachen können. Komisch, nicht wahr? Man sollte doch annehmen, dass man Menschen, die man kennt, ganz einfach finden kann.
Wir nahmen die S-Bahn, es sind nur 4 Stationen vom Rathaus Spandau bis Olympiastadion. Die Bahn war gut gefüllt und fuhr nach dem Olympiastadion fast leer weiter. Umgeben von roten Flaggen mit Halbmond und Stern bewegten wir uns auf das Stadion zu, bogen dann aber aus der dem Eingang zustrebenden Masse nach links ab, um am Ende der Jesse-Owns-Allee meine Tochter und ihren Freund zu treffen. Wie praktisch Handys doch sind: „Wo seid ihr denn?“ „Na, hier am Ende, da wo der Lautsprecherwagen der Polizei…“ „Da sind wir auch!“ „Wo seid ihr?“ „Dort wo der Lautsprecherwagen steht!“ „Wo?“ „Na hinter euch!“ „Wo?“ „Dreh dich doch einfach mal um!“
Wenn jetzt jemand denkt, die müssen bekloppt sein, dann könnte er zwar recht haben, aber nicht in diesem Fall, denn es lag einfach nur an dem Lärmpegel um uns herum, dass ich keinen Ton, der aus meinem Handy kam, verstanden habe. Meine Tochter wohnt ein paar Schritte vom Stadion weg und so war das kein Problem, dass sie noch fix den Studentenausweis ihres Freundes holen mussten. Wir wollten uns nun bei unseren Plätzen treffen. Immer nach dem Bäcker und seiner Frau Ausschau haltend, gingen wir auf den Eingang zu.
Eingangskontrolle, kein Problem ging fix und man hätte alles Mögliche hineinschmuggeln können. Fürs Grobe war sie aber o.k. Wir mussten, wie nicht anders zu erwarten war, auf die andere Seite des Stadions gehen, vorbei an Getränkeständen mit Bier ohne Alkohol, Wasser, Cola usw. zu deftigen Preisen. Brezeln, Hot dogs, die es bei Ikea im Verhältnis dazu incl. Getränks, umsonst gibt. Wir hatten die Zeit zu Hause zu essen, aber diejenigen, die das nicht konnten, haben ordentlich in die Tasche greifen müssen.
Irgendwann war unser Rundgang beendet, wir hatten unsere Plätze erreicht. Rechts rote Fahnen, links, über uns, unter uns, dazwischen schwarz-rot-gold. Das sah ungefähr so aus: links von uns saß ein türkischer Vater mit seinem Sohn, rechts von uns saßen Deutsche, vor uns saßen zwei Deutsche, zwei Türken, dann wieder Deutsche, hinter uns sah es ähnlich aus wie in unserer Reihe bunt gemischt. Was wir alle als Wahnsinn pur empfanden, war der grundlegende freundliche und respektvolle Umgangston untereinander. Da wurde gelacht, sich freundlich zugenickt, als wären alle Fans einer einzigen Mannschaft. Dann ging es langsam los.
Die Spannung stieg, die Nationalmannschaften hielten Einzug, nahmen Aufstellung, die Nationalhymnen erklangen. Die der Gäste zuerst, Zuschauerverhältnis rund 52.000 Türken, ca. 22.000 Deutsche (wobei niemandem anzusehen ist, ob da nicht doch ein deutscher Paß in der Tasche schlummert), dennoch die türkische zuerst, dann die deutsche. Es klingt einfach unglaublich, ein Gänsehautfeeling, wenn 22.000 Menschen gleiches singen, zugegeben, es war das bei den 52.000 Stimmen zuvor nicht anders.
Ein Länderspiel mal nicht am Fernseher von der bequemen Couch aus zu verfolgen, eine vollkommen andere Welt. Kaum sitzt man, springt man wieder auf, reißt die Arme hoch, klatscht, schreit, ruft, singt mit der Welle mit, die von links kommt und nach rechts weiterschwappt und es kommt immer nur: „…..tschland“ und wird dann als „…schlaaaannnd“ weitergetragen. Laute stille Post halt, ganz hinten wird wohl nur noch „……nnnd“ ankommen. Ein Irrtum anzunehmen, dass man nur dann aufspringt, wenn die eigene Mannschaft angreift. Mitnichten, denn wollte ich etwas sehen, dann musste ich auch dann aufspringen, wenn die türkische Mannschaft einen Angriff startete, weil der Türke vor mir diesen stehend beobachtete. Am Anfang sangen die Türken „Turrrkieee“, heißt das nicht „Türkei“ oder irre ich? Das wurde nach dem ersten Tor durch Klose etwas leiser. Dann war Pause, Gelegenheit die Muskeln für die zweite Halbzeit zu lockern. Ich habe heute übrigens fürchterlichen Muskelkater und sollte dringend darüber nachdenken etwas Sport zu treiben.
Die zweite Halbzeit, Anfeuerung der 52.000 Türken für ihre Mannschaft, dazwischen Pfiffe für Mesut Özil, dessen Entscheidung für Deutschland zu spielen, offensichtlich nicht toleriert werden kann, obwohl er lange vor seiner Entscheidung schon im Besitz eines deutschen Paßes war und in Deutschland geboren wurde. Nach seiner Antwort darauf, dem 2:0, die er sehr respektvoll verlegen belächelte, wurde es noch ein bißchen ruhiger und nach dem 3:0 waren die Türken vor mir verschwunden. Langsam begann es durch das Stadion zu tönen: „So sehen Sieger aus tralalalala, so sehen Sieger aus tralalalalala……“ . Dann war Schluß.
Mal von sehr wenigen bengalischen Feuerwerken, es gibt wohl immer Verrückte, die sich solcher Gefahren nicht bewusst sind, war der Abgang genauso friedlich, zumindest immer dort wo wir waren. Was später irgendwo in der Stadt, oder noch rund um das Stadion gewesen war, keine Ahnung, wir haben davon nichts mitbekommen.
Von unserem Platz aus konnten wir weder Frau Merkel, noch Herrn Erdogan oder Herrn Wulff sehen, aber ich habe heute ein Bild in der Zeitung gesehen und wollte die PR-Berater von Frau Merkel bitten ihr eine andere Handhaltung zu empfehlen, das ätzt inzwischen und verfehlt seine ursprünglich Wirkung angedachte inzwischen vollkommen. Lasst die Frau ihre Hände ins Jackett oder die Hosen stopfen, so wie das jeder normale Mensch nun mal tut, oder lasst sie sonst irgendwas tun oder einfach mal nur hängen lassen oder gebt ihr eine Handtasche, aber bitte, bitte gewöhnt ihr diese „Dreieckshaltung der Hände ab!“.
Viel wichtiger für mich als die Bundeskanzlerin meines Landes oder den Ministerpräsidenten der Türken zu sehen, wäre es für mich gewesen meinen Bäcker und seine Frau zu sehen, sie vor Begeisterung und Freude zu umarmen und zu trösten, aber wer weiß, vielleicht haben wir die Gelegenheit das Rückspiel irgendwie, irgendwo zusammen am Fernseher zu verfolgen. Übrigens, auch wenn es spät war, die Brötchen waren heute Morgen wieder sehr lecker.
Hi Gitta,
das war ja wirklich aufregend. Und ein schönes Beispiel für deutsch-türkische Freundschaft. Geht doch. Und wie ich finde, ziemlich gut. Wieder sehr schön und lebendig geschrieben. Ich wünsche dir und deinen Liben einen schönen Sonntag bei Käsekuchen.
Viele, viele Grüße
Jens
Lieber Jens,
er ist gelungen, der Käsekuchen und wird nachher sicher gut schmecken.
Du musst diesen Sonntag ja alleine mit Nikolaus verbringen, wenn ich das richtig verstanden habe. Bei Sonnenschein sicher schwierig darüber zu schreiben, aber das schaffst Du. Genieße den und viel Spaß mit ihm, dem Nikolaus
herzlich
Gitta
Hi Gitta,
das Stück ist fertig. jetzt bin ich gespannt, was meine lieben Mitspielerinnen aus dem Dorf sagen werden. Anfang November beginnen die Proben. und am 5.12. zeigen wirs dann im Feuerwehrhaus vor den Kindern. Irgendwie schön -freue ich mich drauf und hoffe, dass alles klappt.
Liebe Grüße
Jens
diese händitelefonate: klassisch:-)) und von was muskelkater? hoch und runter hopsen, um was zu sehen? das gänsehautgefühl stellt sich bei mir auch vor dem bildschirm ein, keine ahnung, warum. hast du mi deinem bäcker gar nicht gesprochen, wo sie gesessen haben? von randale stand in meiner zeitung nix. fussball im stdion ist schon was völlig anderes egal welches spiel
Gitta – was haben wir beide an dich gedacht, am Freitag. Gemeinsam waren wir in einer gemütlichen Ecke unter dem Heizpilz und haben uns bei einem Bier das Spiel angesehen und dabei endlich mal nen Fußballabend verbracht. Ich hab Raily erzählt, du bist da und wir haben dich natürlich gesehen – irgendwie da, irgendwo zwischen den ganzen Zuschauern ;o)
Unvergesslicher Abend – für uns alle.
Drücken dich und danke für deine immer wieder kraftvollen, lieben Worte.
Wir.
Wow! Das ist eine Ehre für, dass ihr beide an mich gedacht habt :-). Habt ihr gesehen, dass ich Euch gewunken habe? :-). Einen erfolgreichen Tag wünsche ich Euch.
Herzlich
Gitta
Naja, ich war auch dort und würde zustimmen das es eine faire Begegnung war, abgesehen von der Pfeiferei gegen Özil und auch das – hier komischerweise nicht erwähnt – Auspfeifen der deutschen Nationalhymne. Das hat mich ziemlich enttäuscht.
Andererseits war ich überrascht Türken zu sehen, die beide Fahnen winkten, und später in der S-Bahn traf ich auch auf Türken, die noch vom Sommer das Trikot der deutschen Nationalmannschaft angezogen hatten (verziert mit einer kleinen türkischen Fahne und einer Respektsbekundung an das Deutsche Team).
Dennoch würde ich aus diesem „Normalfall“ (gegen Russland habe ich auch eine faire Begegnung im Stadion erlebt) nicht überbewerten und automatisch eine Widerlegung von Sarazzins Thesen machen, oder noch behaupten das er aus reinem PR-Kalkül so gehandelt hat. Ich glaube die Senge die er anfangs von allen Seiten bekommen hat, würde niemand für PR, Moneten oder was einstecken.
Übrigens halte ich auch das Zuschauerverhältnis für nicht realistisch. Akkustisch haut es sicher hin, aber nicht von der Anzahl der Zuschauer. Als nach dem 3-0 das Rot aus dem Stadion verschwand, war das Stadion immer noch gut gefüllt. Also ich sage mindestens 50:50. Ich finds ja auch blöd das sich die deutschen Fans so unterpräsentieren 😉
Ich habe übrigens den Sieg gefeiert wie lange nicht mehr. Das Gesicht des Islamisten Erdogan danach war auch unbezahlbar.
Ich war das erste Mal im Stadion bei einem Spiel der Nationalmannschaft.
50:50 würde ich wiedersprechen, nicht jeder Türke hat nach dem 3:0 das Stadion verlassen, da sind noch jede Menge zeitgleich mit uns hinaus gegangen.
Einen Menschen für seine freie Entscheidung auszupfeifen, wenn er sich entscheidet für das Land zu spielen, in dem er geboren wurde, aufgewachsen ist und dessen Paß er hat, dann ist das für meine Begriffe kleingeistig. Ich will es auf keinen Fall klein reden und Mesut Özil, den es traf, zeigte so viel Fairneß sich nach seinem Tor nur mässig zu freuen, aber ich würde da für keine Nation die Hand ins Feuer legen, es nicht doch auch ebenso zu machen.
Ich habe erhebliche Probleme zur Zeit mit meinem Gehör, das mag als Ausrede klingen, aber das ist so und so habe ich Oropax benutzt, um den Rest einigermaßen zu schützen. So gebe ich zu, dass ich von unserem Platz aus nicht hören konnte, dass bei der Deutschen Nationalhymne gepfiffen worden war und heiße das, so es denn so war, auf keinen Fall für gut. Übrigens wurdie ich auch von meiner Familie auf das Auspfeifen Özils aufmerksam gemacht.
Herr Sarrazin mag unterschätzt haben, dass er derart und von allen Seiten Senge bekommt, dennoch bleibe ich dabei, dass durch die besagten Passagen die Verkaufszahlen gepuscht werden sollten. Ich kann mich nicht erinnern seine Thesen als richtig oder falsch bewertet zu haben. Ich weiß wohl, dass da Vieles im Argen liegt, was ich sehr bedaure.
Zum ausgiebigen Feiern hatten wir leider keine Zeit.