Namenlos und Nicht-Namenlos
Jeder weiß selbst wie das ist: Da schuftet und ackert man, arbeitet wie eine Verrückte oder ein Verrückter und dann kommt da irgendwer und sagt ist ja alles recht und gut, aber irgendwie fehlt da etwas. Was folgt ist ein gut gemeinter Ratschlag, der entweder angenommen, oder wie ein Baseball mit dem Schläger abgewehrt wird.
Ich bin Mensch und als solcher angreifbar und verletzlich. Bin ich kritikfähig? Ich fände es vermessen, meine eigene Kritikfähigkeit beurteilen zu wollen. Kritik ist ein Teil der Kommunikation zwischen Menschen. Möglich, nein sehr wahrscheinlich ist, dass ich meine Kritik nicht immer so anbringe, dass sie nicht verletzend ist, wobei ich mich immer bemühe sachlich zu sein.
So habe ich die Tage, angeregt durch eine Serie über starke Frauen der Nation, meine Kritik angebracht und das mit einem Beispiel. Die Antwort war ungefähr so, dass natürlich Lieschen Müller auch eine starke Frau ist, aber sie habe sich ja nicht noch zusätzliche mit der Öffentlichkeit auseinander zu setzen. Das entlockte mir ein ungalantes „Hä?“. Ich las weiter und erfuhr, dass man dadurch, dass man berühmte Frauen vorstellt, den, und so stand das tatsächlich geschrieben, „Namenlosen“ Mut machen wolle. Das klang mir nicht nach einer sinnvollen Antwort.
Ich gehöre zu den „Namenlosen“ und denke, seit ich die Mail gelesen habe, darüber nach, welche „Nicht-Namenlose“ mir in irgendeiner Situation hätte Mut machen können. Wenn ich ehrlich bin, fällt mir niemand auf Anhieb ein und ich schätze mal, dass mir da für zukünftige Probleme auch keine einfällt. Ich habe mich mal für eine kurze Zeit mit Nena verbunden gefühlt, aber nur deswegen, weil wir die Gemeinsamkeit haben, dass unsere erstgeborenen Söhne behindert waren. Damit hatte sich das dann auch schon mit der Verbundenheit. Mut hat sie mir keinen gemacht, das habe ich nicht gebraucht. Sie hatte sich damals übrigens, soweit ich mich erinnern kann, aus der Öffentlichkeit zurück gezogen.
Wenn ich die Geschichte einer „Namenlosen“ lese, die Augenhöhe mit mir hat, auf einer Ebene steht, das hat für mich mehr Bedeutung, wie die Geschichten über die „Nicht-Namenlosen“.
Wenn mir jemand Mut machen kann, dann muss ich den anfassen und ihm in die Augen schauen können. Ich muss ihn hören und sehen können, muss den Menschen kommunizieren sehen, muss mit ihm kommunizieren können. Er oder sie muss mich in den Arm nehmen können. Er oder sie muss nicht perfekt sein, schon gar nichts Ähnliches erlebt oder unzählige Krisen durchlebt haben. Dieser Mensch muss in diesem entscheidenden Augenblick einfach nur da sein. Er ist in diesem Moment der Starke, ich der Schwache. Das kann sich irgendwann umkehren, dann bin ich stark und halte dann diesen Menschen. Mehr Stärke bedarf es für mich nicht.
Liebe Gitta,
wie versprochen wollte ich noch zu deinem Blog-Beitrag Stellung nehmen. Ich kenne nun leider nicht die genaue Vorgeschichte, auf die du dann die Mail bekommen hast. Die Antwort wirkt so schon verwirrend und – mal vorsichtig ausgedrückt – auch etwas konstruiert.
An deiner Sichtweise der Stärke, des Mutmachens, des Hilfegebens und –annehmens gibt’s sicher wenig oder nichts zu beanstanden.
Stärke hängt definitiv nicht ab vom Bekanntheitsgrad des Namens. Stärke ist innere Kraft. Sie ist uns gegeben, und wenn wir Glück haben, finden wir einen Weg zu ihr, um sie bei Bedarf „abrufen“ zu können. Lernen, uns ihrer bewusst zu werden, einen Zugang zu finden und sie auch zu nutzen. Manch einer schafft es früh und ihm gelingt das kleine Wunder, auch noch davon abzugeben, während andere unter Umständen ihr Leben lang vergeblich auf Stärke ‚warten’ und immer diejenigen bleiben werden, die von außen empfangen– nicht durch sich selbst. Egal wie, auch hier ist es völlig irrelevant, ob nicht-namenlos oder anonym.
Was meint jetzt aber (eventuell) dein Mailverfasser, wenn er sagt, Nicht-Namenlose als starke Frauen darzustellen und vorzustellen wäre besser? Effektiver. Würde den Namenlosen mehr Mut machen?
Ich versuche mal eine Theorie: Vielleicht geht der Verfasser davon aus, dass bei einem nicht unerheblichen Teil der Menschen ein mehr oder weniger bewusster Neid auf die Nicht-Namenlosen besteht. Denen geht es angeblich besser, die brauchen sich keine Sorgen machen, für die scheint doch immer die Sonne, etc. Es geht nicht darum, ob das stimmt oder nicht! Passiert nun einer solchen bekannten Person etwas, wird sie krank, verliert sie einen geliebten Menschen, ihren Besitz, wird sie betrogen, verschmäht, o. ä., so wird die weitere Entwicklung ganz anders betrachtet. Einerseits wird kaum einer auf die Idee kommen, als Namenloser an diese Nicht-Namenlose mit einem Hilfsangebot heranzutreten. Stattdessen wird sie – durchs Scheinwerfer hell beleuchtet – sehr genau beobachtet, und es wird genau registriert, was diese Person jetzt macht. Wie sie sich verhält, agiert und reagiert.
Wenn diese öffentlichen Menschen es schaffen, ihre eigene persönliche Misere, ihr Leid, ihre Krankheit in einer Weise der Öffentlichkeit nahezubringen, die nicht nur dazu dient, klagend in aller Munde zu sein,, sondern Aufklärung zu leisten, Erfahrungen weiterzugeben, wertvolle Informationen und Tipps zu übermitteln, zur Vorsorge zu animieren o. a. – dann sind das starke Persönlichkeiten (hier begrenzt auf Frauen). Diese haben dann tatsächlich den Einfluss, Dinge zu bewegen, anderen Mut zu machen, indem sie Situationen bewältigen.
Und sie haben zusätzlich selbst genug Einfluss in ihrer Umgebung, um Dinge publik zu machen, die sonst nie publik würden. Sie werden eher gehört, wo bei Namenlosen einfach rigoros die Klappe fällt. Oder sie entscheiden sich, sich für Schwache einzusetzen. Und nutzen all ihren Einfluss dafür aus. Verzichten auf Vorzüge, zeigen auf Dramen, legen den Finger in die Wunde und ändern tatsächlich was dadurch. Eine unter Umständen spezielle Stärke der Nicht-Namenlosen.
Soweit meine Theorie. Irgendwie glaube ich allerdings nicht, dass dein Mailverfasser derart um die Ecke gedacht hat. Ganz offen gesagt glaube ich eigentlich nur, dass die Darstellung von Nicht-Namenlosen einfach mehr Auflage bringt und dementsprechend auch mehr Profit.
Liebe ladyfromhamburg :-),
vielen Dank für die Mühe, die Du Dir gemacht hast. Ich kann Dir im Grunde nur Recht geben. Natürlich können „Nicht-Namenlose“ besser Mißstände piblik machen, oder ihren Weg aus einem Dilemma erzählen, weil sie gehört werden. Ob sie damit aber wirklich Mut machen können? Ich weiß es nicht. Es ging in der Serie um starke Frauen über die erzählt wurde, um Mut zu machen. Die Serie selbst, die war in Ordnung keine Frage.
Du hast geschrieben, dass Neid etwas ist, das bewusst oder unbewusst bei einem nicht unerheblichen Teil der Menschen, besteht. Sicherlich ist das Fall. Neid kann eine gesunde Sache sein und Antrieb geben, kann aber auch im Gegenteil das Innere zerfressen. Ob dann nicht eher Hähme statt mut entsteht vermag ich nicht zu beurteilen.
Meine Intention ist die, dass wir in unserem Land so unglaublich viele starke Frauen und Männer haben, die Unglaubliches leisten, wären sie nicht als Mutmacher ebenfalls eine Serie wert? (Wobei ich mir sicher bin, dass es dies auch schon gegeben hat) Ist diese Art des Mutmachens dann nicht authentischer, da sehr viele andere Menschen sich auf deren Ebene wiederfinden, da haben weder Neid noch Hähme Platz.
Mut, Stärke die kommt aus dem Inneren, die kannst Mensch nicht lernen, nicht erben, nicht anlesen, die muss man selbst in sich aktivieren. Ob durch Beispiele Namenloser, wobei ich, wenn ich ehrlich bin diesen Ausdruck schon abartig finde, denn wir haben alle einen Namen und wir sind alle Menschen, oder Nicht-Namenloser, das kann und muss dann jeder für sich selbst entscheiden.
Vielen Dank nochmals für die Mühe, die Du Dir gemacht hast.
Herzlich
Gitta