Laut oder leise den Unmut äußern?
Kennt ihr das, wenn ihr in einer Unterhaltung oder Diskussion merkt, dass die Argumente auf verschiedenen Fahrbahnen laufen und die Gesprächspartner herzig aneinander vorbei reden, dann aber der eine meint das wäre nicht so? Dann passiert das, dass ich an den Punkt komme und mich frage „Hallo?“ warum tu ich mir das an? Manchmal kann es auch passieren, dass Treffen unter einem falschen, streitbaren Stern stattfinden. Auch das kann passieren und wenn dem so ist, dann ist das eben so. Als ich dann auf dem Heimweg war, an einer Frau vorbeikam, die sich augenscheinlich wegen Schmerzen an einer Säule kurz ausruhte, da kam ich dann für mich zu der Überzeugung, dass ich so falsch mit meiner Argumentation gar nicht lag.
Natürlich habe ich die Frau gefragt, ob ich ihr helfen kann. Ich gehe da nicht so vorbei, wenn ich merke, dass ein Mensch Hilfe braucht oder vielleicht brauchen könnte. Dabei ist mir erst mal wurscht, ob da nur der neue Schuh drückt, oder ob mehr dahinter steckt. Aber darum geht das heute gar nicht. Ich habe an Euch eine ganz allgemeine Frage und hätte sehr gerne, Hand aufs Herz, eine ehrliche Antwort. Ganz alltägliche Situation: Supermarktkasse, Mama mit Kind, Kind ist kaum mehr zu kontrollieren. Ihr steht hinter der Frau mit dem Kind an, oder auch davor, das ist egal. Laßt ihr Euch zu einer Bemerkung hinreißen, um Euren Unmut über das flegelhafte Kind hinreißen? Was ihr innerlich denkt spielt dabei keine Rolle, überhaupt nicht. In meinem Streitgespräch ging es um mein Erlebnis mit Andreas, damals als er noch klein war, stundenlang schon beim Kinderarzt warten musste, dann auf der Bank auch noch, weil wir österreichische Schillinge gebraucht hatten und zu aller Freude dann auch noch das Computersystem für ein paar viele Minuten ausgefallen war. Es war Freitag, die Bank hat damals noch sehr früh geschlossen. Andreas führte sich auf, gab mir ein herziges Arschloch, was er sprachlich gerade drauf hatte, zog sich aus, stellte alles an, was ihm in den Sinn kam. Die beiden älteren Frauen hinter mit begannen schon zu tuscheln, was das für ein unerzogenes Kind sei. Laissez faire sei eine falsche Erziehungsmethode. Als das System der Bank endlich funktionierte, ich meine Schillinge hatte, rief ich Andreas zu mir, zog ihn an, und sagte ihm, dass wir jetzt gehen könnten. Die beiden Damen hinter mir äußerten ein „Gott sei Dank“. So weit so gut. Was denkt ihr, war das wirklich ok und ich wiederum hätte nicht das Recht gehabt ihnen in der Art zu antworten wie ich es getan habe? Ich habe die beiden Frauen, mit totaler Ruhe, darauf hinweisen, dass ich, während der Schwangerschaft auch nicht damit gerechnet hatte ein behindertes und krankes Kind zu haben. Ich habe das in meinem „Gänseblümchen“ beschrieben. Ich, so mein Gesprächspartner gestern Abend, hätte die Unmutsäußerungen unkommentiert hinnehmen müssen und die beiden Frauen dagegen hatten alles Recht der Welt ihren Unmut zu äußern.
Ich finde es schwer, auch als Mutter von Andreas, der es trotz geistigem Handicap faustdick hinter den Ohren hatte, eine Situationen zu beurteilen, die Mütter zwingen mit ihren Kindern in der Öffentlichkeit Kämpfe auszufechten, die sie gar nicht ausfechten wollen. Ich empfand das als Mutter immer sehr affig, meine Kinder vor allen anderen zu maßregeln, nur weil diese das erwarteten und ich habe einen Teufel getan, ich habe das nicht gemacht, habe stets versucht das zu vermeiden. Waren wir in einem Lokal, dann konnte ich sie meist damit wieder einloten, dass ich drohte mit ihnen vor die Tür zu gehen. Zum Glück haben sie es nie dazu kommen lassen, denn ganz ehrlich, da wäre auch nix passiert, dort vor der Tür. Sie haben mir das erspart und sich meist wieder eingekriegt, ich habe auch mit ihnen eher nicht von oben nach unten geschimpft, sondern bin auf ihre Augenhöhe gegangen. Aber ich habe sie verdammt noch mal nicht vor anderen gemaßregelt und schon gar nicht, wenn deren Blicke angedeutet haben ich müsste nun etwas tun und meinen Zwist habe ich mit ihnen alleine ausgetragen. Zurück zu meiner gelebten Situation, wäre es nicht schlauer von den beiden Frauen gewesen, mal zu fragen, ob man helfen kann, auf den Lümmel kurz aufpassen soll, bis die gute Frau, die Mutter, also ich in dem Fall, aber es könnte ja auch die Oma sein, ihre sieben Sache erledigt hat? Wie oft sehen wir Situationen, gerade an den Kassen der Supermärkte, dass Mutter und Kind, was von den Märkten ausdrücklich gewünscht wird, sich wegen dieser verflixten Süßigkeiten dort auseinander setzen. Oft sind die Kinder müde, die Mütter gestresst, aber dürfen wir deswegen unseren eigenen Unmut über diese Situationen ausdrücken und laut sagen was wir denken? Denken kann ich was ich will, damals hätte ich meinen Sohn in der Luft zerreißen können, weil er mich derart bloßgestellt hat, aber hat er mich wirklich bloßgestellt? Bewerte ich mein eigenes Empfinden an dieser Stelle nicht über? Sicher ich musste den Beiden da hinter mir antworten, habe somit meinen Frust abgebaut und habe mich dann innerlich darüber amüsiert, dass sie rot angelaufen waren. Trotzdem, dürfen wir unseren Unmut äußern, obwohl wir gar nicht wissen was an diesem Tag alles voraus gegangen war, ob das Kind wie Andreas auch ein geistiges Handicap hat, ob es vielleicht krank ist, oder schon einen langen Tag hinter sich hat und einfach nur müde ist? Ich meine und das sage ich ganz ehrlich, dass man das nicht tun sollte, weil man, egal was auch immer ist, auf diesem Weg der Mutter zusätzlich noch eins mitgibt, was diese vielleicht, ich sage ausdrücklich vielleicht, dann ihrem Kind eventuell mit auf den Weg und somit weitergibt, was sie bekommen hat. Wir kennen alle das Hierarchie-Konzept: Der Chef wird angemeckert, gibt das an seine Mitarbeiter weiter und am Ende ist der Lehrling der Dumme, der alles abbekommt und gar nicht weiß wie ihm geschieht.
Ich würde mich immer vor meine Kinder stellen, habe das auch getan, da gibt es gar keinen Zweifel, das ist einfach so. Ganz sicher auch vor meine Enkelkinder, auch das wäre keine Frage, da gäbe es auch keine Zweifel und ich würde, verbal, jeden wegfegen, der in welcher Art und Weise auch immer sie angreifen würde. Körperliches Wegfegen könnte etwas problematisch sein, das hängt von Form, Art und Umfang meines Widersachers, meiner Widersacherin ab. Was mich etwas nachdenklich gemacht hat, ist, dass die Bereitschaft abzuurteilen immens groß geworden ist, vorverurteilen ist Mode, ist ja sch…egal, trifft uns selbst eh nicht, das geht fix, das hat sich schnell. Stempel aufdrücken ist bequemer, als zu helfen, oder mal zu fragen. Die Mutter oder der Vater, sie können ihr Kind nicht unter Kontrolle halten, sie tragen die Schuld, dass er ein Täter geworden ist, dass Verbrecher, Lügner, Betrüger aus ihnen geworden sind. Immer nur das Schlechte annehmen, den abstrafen und alle die mit ihm zusammenleben letztendlich auch, obwohl sie nichts dafür können. Das ist dumm. Nicht immer tragen Eltern die „Schuld“ daran, wenn ihre Kinder auf falschen Gleisen landen. Aber das ist ein vollkommen anderes Thema, das war nicht Kern der Diskussion. Ich verneine nach wie vor das Recht zu haben an der Kasse des Supermarktes, am Bankschalter meinen Unmut laut darüber zu äußern, dass ein Kind nicht so reagiert, wie der erwachsene Mensch sich das wünscht. Denken darf ich anders und mich dann beglückwünschen, dass ich das an Supermarktkassen nicht so leben musste.
Wie seht ihr das? Meckert ihr laut, wenn es zu einer solchen Begebenheit direkt vor oder hinter Euch kommt? Oder denkt ihr Euch lieber Euren Teil dazu, froh nicht in dieser Situation zu sein? Das könnte auch anders passieren: ihr habt ein dementes Familienmitglied und steht an der Kasse im Supermarkt und dieses, das Familienmitglied macht sich nun auf und davon, oder ist anderer Meinung wie ihr selbst. Das kann zu einem ähnlichen Szenario führen, nicht weniger peinlich. Mit anderen Worten, wenn ihr an der Kasse steht, seid nachsichtig mit Euren Mitmenschen, ich verspreche Euch man fühlt sich selbst wohler, wenn man das sein kann: Laßt es Euch gut gehen.