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Der Himmel über Jerusalem

Ich bin durch mit dem Buch, das eigentlich nur wenige Seiten hat. Gegenüber dem, was man sonst gewohnt, geneigt ist zu lesen. 114 ½ Seiten über Menschen, die aus einem Drama kommen, um gleich in das nächste hinein zu gehen. Ein Buch, das mich berührt, aber auch zornig gemacht hat und das seine Leser wohl vor vollendete Tatsachen stellt, aber trotzdem ratlos und mit den Schultern zuckend zurück gelassen hat. Arndt Stroscher von Literatwo hat mich auf dieses Buch neugierig gemacht, das man in den Auslagen von Thalia leider nicht finden kann. Trotz all meiner Emfpindungen danach bereue ich nicht, es gelesen zu haben.

Der Himmel über Jerusalem von Gabriella Ambrosio, einer Journalistin, die eine wahre Begebenheit frei erzählt hat. Die Handlung ist schnell erzählt, wie befinden uns dort wo unter diesen Umständen niemand sein möchte: Jerusalem. Myriam und Dima, zwei junge Frauen in gleichem Alter, eine Jüdin, eine Palästinenserin beide haben Verluste erlitten, menschliche, persönliche, freiheitliche. Beide sterben gemeinsam, eine freiwillig, die andere nicht. Alle Personen, die in irgendeiner Art und Weise mit dem Attentat oder den beiden jungen Frauen, die beide noch die Schule besuchten, zu tun haben, laufen in der Handlung aufeinander zu, wie in einem Film über einen Flugzeugabsturz, der zeigt, was die Menschen dort und ihre Angehörigen und Kollegen zuvor noch gemeinsam oder alleine gemacht haben.  

Die Autorin zeichnet ein düsteres Bild über das, was beide Heimat nennen und wo sie sich doch nicht zu Hause fühlen, zeichnet ein Bild der Aussichtslosigkeit niemals in Frieden miteinander leben zu können, obwohl das im Grunde der Wunsch aller ist: Friede, miteinander, nicht gegen einander. Soldaten, die tun wozu sie geheißen sind prägen den Alltag aller: zur Sicherheit der einen, zur Unterdrückung der anderen. Die Rache der einen ist ihre nächste Unterdrückung. Ich benenne an dieser Stelle nicht Juden nicht Palästinenser, weil sie alle gefangen sind, gegeißelt und unterdrückt leben. Auf keinen Fall aber in Freiheit. In meinem tiefsten Innern bin ich der Überzeugung, dass die einfachen Menschen beider Glaubens- und Abstammungsrichtungen, ohne seine jeweiligen Herrscher längst schon Frieden miteinander geschlossen hätten, weil sie alle müde sind. Müde zu kämpfen, müde ihre Kinder, Väter, Mütter, Freunde, ihr große Liebe zu Grabe zu tragen, die alle Opfer sind: Opfer von Gewalt, ausgehend von beiden Seiten.  So gesehen ein Buch ohne Hoffnung auf Zukunft, im Gegenteil am Ende steht die gegenseitige Zerstörung.

Ich habe in der Zeit als mein spätes Abitur im Jahr 2001 gemacht habe in „PW“ viel über diese Region gehört, das muss jeder selbst nachlesen, weil ich meine, dass das alles nicht so einfach ist. Ich bin in Friede und Freiheit geboren, auch wenn die Mauer erst einige Jahre nach meiner Geburt gebaut worden war, ich bin aufgewachsen in Freiheit und von meinen Eltern mit dem Glauben an Toleranz, gegenseitiges Recht auf Leben und Liebe ausgestattet worden, auch wenn sie noch der Kriegsgeneration angehört haben. Das habe ich versucht meinen Kindern weiter zu geben. Meine Eltern haben unsere Fragen nach dem „Warum“ und „Habt ihr nichts bemerkt?“ immer offen und ehrlich beantwortet. Meinen Geschwistern und mir gegenüber. Ich frage mich ob diese Menschen dort im fernen Jerusalem die Frage nach dem „Warum“ wirklich noch beantworten können, mal von den Vorturnern und Vorbetern abgesehen, die mit aller Macht versuchen das Gegeneinander aufrecht zu erhalten. Vielleicht haben sie Angst, dass ihre Daseinsberechtigung einen Knacks bekommen, wenn sie für Friede und Freiheit eintreten – für alle, die dort leben.

Ich bin in Freiheit aufgewachsen und Friede, auch wenn der Kalte Krieg damals noch tobte, aber als Kind nahm ich das nicht unbedingt wahr. Eine kleine Vorstellung wie eingeschränkt Freiheit sein kann bekam ich, als ich für ungefähr sechs Monate in Berlin gelebt habe, damals 1979 ein Berlin mit einer Mauer drum herum. Für mich, die ich zuvor mit meinem blauen VW-Käfer und ausgestattet mit meinem Reisepaß hinfahren konnte, wohin ich wollte, war das eine halbe Katastrophe: Wo immer ich auch hinfuhr, irgendwann kam da die Mauer. Keine Stadt für mich. Mauerstadt. Umzingelte Stadt. Kontrolle durch Menschen, die keine Menschen sein durften. Menschen gleicher Sprache. Dann fiel die Mauer, na ja nun bin ich da, sein 20 Jahren. In Friede und Freiheit.

Warum? Haben wir all das seit Jahren nicht gewusst? Religionskriege. Sie breiten sich immer mehr aus. Töten im Namen Gottes und Allahs. Warum? Wenn es gibt, kämpfen sie dann gegeneinander oder leben sie nicht das mit einander, was sie die Menschen predigen lassen: Friede miteinander, Freiheit füreinander. Kann Allah einen Menschen lieben oder tolerieren, der andere mit einer Bombe um den Hals in den Tod schickt? Ein Märtyrer oder eine Märtyrerin? Nein, ich glaube eher nicht. Einfach nur tote Menschen, Täter und Opfer in einer Person. Nichts mehr, ausgelöscht. Die Menschen, die Friede und Freiheit wollen sind in der Überzahl und nur eine handvoll Verwirrter können einfach nicht Freiheit, nicht Friede leben, weil sie auf falschen Pfaden wandeln. Warum? Wir wollen Friede und Freiheit und schauen gelassen zu wenn ein Volk sich abmetzelt, gegenseitig umbringt, weil ein Herrscher an seinem Sessel klebt. Ein Volk mit einem gemeinsamen Reisepaß, Menschen gleicher Herkunft, die gegeneinander kämpfen müssen, weil irgendwer das so bestimmt. Wer fragt sie schon danach, ob sie nicht viel lieber miteinander in Frieden, Freiheit und Glaubensfreiheit leben wollen. Die gleichen Fragen lassen sich natürlich auch für alle Glaubensgemeinschaften stellen, die im Namen Gottes leben.

Der Himmel über Jerusalem beschreibt nicht nur die letzten Stunden vor der Sekunde „X“, sondern auch die sehnsüchtigen Blicke zu den „Anderen“, die Leere, die sich einstellt, wenn man erkennt, wie sinnlos dieses Töten ist, wie wenig Sinn es hat auf die Straße zu gehen, wie sehr die Kindheit in falschen Bahnen läuft, wenn Kinder ihre Hände im Blut anderer baden. Ich weiß nicht, ob ich das Buch empfehlen kann, doch schon, im Grunde ja, gerade dann, wenn unser Leben einen Hauch von Leichtigkeit bekommt, ist gut es zu tun, damit der Blick nicht verloren geht, dass auch unsere Freiheit dann in Gefahr ist, wenn junge Menschen, die hier in Friede und Freiheit aufgewachsen sind, glauben, dass nur die Tatsache, dass sie zum Islam konvertiert sind, es rechtfertig das in Frage zu stellen und mein Land zu einem Kriegsgebiet zu erklären. Dem kann ich nur entgegen halten: Leute, wenn es Euch hier nicht gefällt, dann packt Euren Krempel und geht und kommt aber nie wieder zurück, es sei denn, ihr akzeptiert unsere Freiheit, unseren Frieden und wenn dem so ist auch unseren Glauben und wenn wir fest dazu stehen, dann hat niemand eine Chance uns das zu nehmen.

Der Himmel über Jerusalem, das Buch macht zornig, ratlos und lässt seine Leser hilflos zurück.

 

3 Kommentare zu „Der Himmel über Jerusalem“

  • Mr. Rail says:

    Eine sehr emotionale Reaktion auf das Buch, liebe Gitta – und welches Buch kann schon von sich behaupten, solche Gefühle freisetzen zu können?

    Ich verstehe deine Wut und Hilflosigkeit angesichts der religiösen Konflikte weltweit und speziell in diesem Beispiel.

    Mir hat das Buch und auch der reale Fall allerdings viel mehr gezeigt, dass eine Täter – Opfer – Aufteilung kaum möglich ist, da sich alle in einer gewachsenen Spirale der Gewalt bewegen.

    Auf Deutschland bezogen unterschreibe ich deinen Ruf – allerdings mit dem Zusatz in jede Richtung politischen und religiösen Fanatismus.

    Letztlich kann niemand mehr die Frage nach dem Warum beantworten und das macht sprachlos! Ich schätze dieses Buch sehr, da es eben desillusioniert….

  • Gitta says:

    Lieber Arndt,

    natürlich nicht nur religiöser Fanatismus, auch politischer und allem was irgendwie auch nur im Ansatz mit Gewalt zu tun hat. Ich gebe zu, dass ich die „paar“ Seiten des Buches nicht in einem Zug durchlesen konnte, dazwischen immer mal wieder tief durchatmen musste, meine Hände, die aus Wut, Zorn zu Fäusten geworden waren entspannen musste. Mehr aber macht mir diese Hilflosigkeit zu schaffen, dass kleine Kinder, außer der Leere ihrer Mütter nur die Kälte des Krieges zu spüren bekommen. Kleine Kinderseelen ohne Schutz, ohne Aussicht jemals frei zu sein, in Frieden zu leben, nirgendwo willkommen sein und gleichzeitig nicht zu wissen wo sie hingehören.
    Gabriella Ambrosias Worte sind so einfach gewählt, erzählend, sie reißen Dich raus aus der Sesselmentalität die Welt wird das schon richten. Gleichzeit läuft im Fernsehen eine Dokumentation einer neuen politischen und religiösen Gewalt, die uns allen Gefahr bringen wird. Aber es ist so viel einfacher die Fernbedienung zu nehmen und zum nächsten Kanal zu schalten. Warum ziehen wir nicht alle an einem Strang? Warum gibt es immer eine Hand voll Leute, die glauben, dass sie diese Welt beherrschen können? Würden sie die Geschichtsbücher lesen lernen, würden sie sehr schnell erkennen, dass das nicht läuft, also warum all dieser Haß und diese Gewalt? Da ist es dann wieder das Warum?
    Lieber Arndt, wir dürfen alles nur nicht sprachlos werden, auch wenn es schwer fällt die richtigen Worte zu finden.

  • Mr. Rail says:

    Liebe Gitta,

    danke für diese Rückkopplung und die gemeinsame Sichtweise. Sprachlosigkeit können wund dürfen wir uns nicht leisten und demnach ist und bleibt es wichtig, solche Bücher zu lesen und ihre Botschaft in die Welt zu tragen.

    Ich kann den Lesern von Literatwo die Gedanken von Gitta nur wärmstens empfehlen… in unserem Gefühl gehören beide Artikel zusammen – verbunden durch ein Buch.

    Und wer den Weg zu unserem Artikel findet, wird ebendies feststellen. Ein starkes Band ohne Sprachlosigkeit!

    Ein gemeinsamer Schrei!

    http://literatwo.wordpress.com/2012/08/26/der-himmel-uber-jerusalem/

    Grüße von Literatwo

    Dank!

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